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Lebensplanung: Hobbys statt Kinder, Karriere statt Nachwuchs. Warum in Deutschland nicht mehr Kinder geboren werden

 Es ist noch gar nicht so lange her, da galt man erst als erwachsen, wenn man verheiratet war und mindestens ein Kind hatte, besser zwei. Außerdem war der Wunsch nach Kindern in vielen Biographien geradezu vorherbestimmt und wurde als selbstverständlich erachtet. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Familiengründung ist in der persönlichen Prioritätenliste nach unten gerutscht. Woran liegt's?

Man kann sicherlich geteilter Meinung darüber sein, was der Staat tun sollte, um den Menschen das Kinderkriegen schmackhaft zu machen. Doch man kann kaum leugnen, dass eine Menge getan wird. Elterngeld, Kindergeld, Vätermonate, der Ausbau der Kita-Plätze, sogar ein Rechtsanspruch auf Betreuung – das sind nur einige der Maßnahmen, die die Regierung eingeführt hat, um die Deutschen nicht aussterben zu lassen. Allein die Resonanz ist ernüchternd, denn seit nunmehr rund 40 Jahren bekommt eine Frau in Deutschland durchschnittlich nur 1,4 Kinder. 

 

 

Job, Freunde, Hobby – und irgendwann: Kinder 

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung wollte wissen, was genau schief läuft bei den Deutschen. Also wurde eine Studie durchgeführt, die die Beweggründe zur Unlust am Kinderkriegen beleuchten sollte. Das Ergebnis zeigt, dass die Deutschen sich zunächst einmal um ihre Karriere kümmern wollen. Auch die persönliche Freiheit spielt eine Rolle. Zahlreiche Hobbys könnten mit einem Kind – so die Meinung der Befragten – nicht vereinbart werden oder würden zu Einschränkungen führen. Und vor der erfolgreichen Kindererziehung steht für viele die Pflege enger Freundschaften. Kinder zu bekommen ist also nicht mehr Lebenserfüllung, sondern stellt für zahlreiche Menschen eine Einschränkung dar. Der richtige Zeitpunkt wird also vielfach nach hinten verschoben und irgendwann gänzlich aufgegeben. 

 

Keine Anerkennung, keine Kinder

Lange Zeit waren Familien mit Kindern gesellschaftlich allgemein anerkannt. Das empfinden die Menschen heute nicht mehr so. Zudem wird mit der Familiengründung keine Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung assoziiert, eher steht die Befürchtung im Raum, durch zwei oder mehr Kinder mit einem Makel behaftet zu sein. Die Motivation, Kinder in die Welt zu setzen, sinkt auch durch dieses Empfinden. 

 

Der Druck des Arbeitsmarktes

Ein weiterer Grund, der belegt, warum Menschen sich gegen Kinder entscheiden, ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt. In der modernen Welt wird Flexibilität erwartet, die Anforderungen sind hoch, Arbeitnehmer leicht austauschbar. Besonders Höherqualifizierte befürchten, mit Kindern den Anforderungen der Arbeitswelt nicht mehr gerecht werden zu können und verzichten lieber gleich darauf. Und auch im Zeitalter von selbstbewussten Frauen und Emanzipation scheinen alte Rollenbilder mit hinein zu spielen. Viele Frauen glauben, keine guten Mütter zu sein, wenn sie ihre Kinder in Fremdbetreuung geben. Statt jedoch die „Herdprämie“ in Anspruch zu nehmen und eine Weile zu Hause zu bleiben, begraben sie den Kinderwunsch, bevor er entstanden ist. 

 

Die OECD mischt sich ein

Gerade ist das Betreuungsgeld kaum noch in den Medien präsent, da meldet sich die OECD zu Wort. Die „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ mahnt die Deutschen an, sich um ein besseres Betreuungssystem zu kümmern. Außerdem müssten Frauen der OECD nach bei gleicher Qualifikation auch die gleichen Chancen wie Männer am Arbeitsmarkt erhalten. Genau das ist jedoch nicht der Fall, so die Kritik der OECD. Neben einer besseren Betreuung für Kinder fordert sie die Abschaffung des Ehegatten-Splittings. Und das Betreuungsgeld hält die Organisation sowieso für überflüssig, es solle gleich wieder abgeschafft werden. 

 

Innere Zerrissenheit

Gesellschaftliche Anerkennung, Karriere, Freunde, Hobby und die Angst vor der Zukunft oder auch Sorgen in finanzieller Hinsicht – das sind Gründe für den Unwillen der Deutschen, Kinder in die Welt zu setzen. Doch es gibt auch einen anderen Ansatz. Die Zukunfts- und Trendforscherin Corinna Mühlhausen vertritt die Ansicht, dass viele Probleme hausgemacht sind. Ihrer Meinung nach machen sich die Menschen viel zu viele Gedanken darüber, ob, wie, wann und mit wem sie Kinder haben wollen. Wenn das Thema sich immer weiter in die Länge zieht, ist es irgendwann vom Tisch. Doch Mühlhausen hat noch eine andere Erklärung für die schwache Geburtenentwicklung. Sie merkt an, dass das Single-Dasein früher meist eine Alternative gewesen ist, die eine Beziehung inklusive Familiengründung nicht ersetzen konnte. Heute aber ist es ihrer Meinung nach ein Lebensmodell, allein oder in einer Partnerschaft ohne Kinder zu bleiben, und zwar nicht als kleineres Übel, sondern als gewollte Form des Lebens. 

 

Die alte Leier: Sterben wir aus?

Wenn das Thema Kinder angeschnitten wird, wenn die Zahlen erkennen lassen, dass wir Deutsche immer weniger Kinder bekommen, wenn von der demografischen Entwicklung die Rede ist, dann folgt über kurz oder lang die bange Frage, ob wir nun damit rechnen müssen, auszusterben. Corinna Mühlhausen hat dazu eine ganz eigene Meinung. Sie sieht die Gefahr des Aussterbens nicht und verweist auf die Tatsache, dass es schließlich immer noch Paare gibt, die sich für Kinder entscheiden. Das, so Mühlhausen, wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Außerdem, sagt sie, sei Deutschland ein attraktives Land, das in Zukunft vielen unterschiedlichen Nationalitäten eine Heimat sein wird. Das wird auch weitere Geburten zur Folge haben. Mühlhausen geht nicht davon aus, dass wir aussterben. Sie kommt zu Schluss, dass Deutschland in Zukunft im Wesentlichen eines wird: Bunter.