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Warum kann sich meine Frau nie entscheiden? – ein Leidensbericht

„Du, Schatz?!“, wenn dieser Satz fällt, dann graut es mir. Er bedeutet: Meine Frau braucht Hilfe, weil sie sich wieder einmal nicht entscheiden kann. Doch meistens kann ich ihr schon nicht mehr helfen, weil sie sich bereits entschieden hat, sich nicht zu entscheiden.

„Schatz?!“ höre ich die vertraute Stimme meiner Frau durch die Kinderabteilung eines großen Kaufhauses hallen und eile zu ihr.
„Was meinst du?“, sagt sie und hält mir dabei eine kleine, hellbraune Jacke vor die Nase.
„Ja, sehr schön“, antworte ich und lächele zu meinem Sohn, der gelangweilt in seinem Kinderwagen liegt und an einem Reiseverschluss nuckelt.
„Ja, findest du die wirklich gut?“, fragt meine Frau erneut und blickt dabei mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die Jacke in ihren Händen. Mir entgeht dabei nicht der kritisch, zweifelnde Unterton.
„Ja, die ist doch gut. Ich meine, die hat eine Kapuze und ist leicht ...“
„Aber ist die nicht zu dünn?“, fällt mir meine Frau ins Wort.
„Nein, wieso, wir wollten doch eine Jacke, unter der er noch etwas tragen kann und die er, wenn es wärmer wird ...“
„Ja, aber ist die dann auch winddicht?“, fällt meine Frau, mit nun deutlichen Zweifel in der Stimme, ein.
Bei einer Jacke von 16 Euro würde ich jetzt nicht erwarten, dass sie winddicht ist, denke ich, sage aber lieber nichts, denn der Gesichtsausdruck meiner Frau verrät mir, dass der Zweifel bereits weiter vorangeschritten ist.
„Na, ist das so wichtig, ich meine, er ist doch die ganze Zeit im Kinderwagen und wir haben doch auch noch den Regenschutz und ...“
„Ja, brauchen wir dann die Jacke überhaupt?“, fragt meine Frau und sieht abwechselnd zu mir und auf die Jacke. Jetzt bin ich vollkommen perplex, denn schließlich sind wir doch nur in diesem Kaufhaus, weil meine Frau meinte, dass wir dringend eine leichte „Übergangsjacke“ für unseren Sohn brauchen. Nun blickt sie wieder auf die Jacke als handele es sich dabei um das Foto eines Verdächtigen, den sie identifizieren soll. Unsicherheit, Zweifel, kurze Zuversicht, dann wieder Zweifel. Ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Meine Frau kann sich nicht entscheiden - wieder einmal.

 

Jede Entscheidung wird zur lebensbestimmenden Weggabelung

Am schlimmsten ist die fehlende Entscheidungsfähigkeit im Restaurant. Bereits dreimal habe die die Bedienung mit der Bemerkung weggeschickt, dass meine Frau noch ein paar Minuten brauche. Nun steht sie zum vierten Mal bei uns am Tisch und fragt: „Und, haben Sie sich entschieden?“ und ich möchte ihr zurufen: „Ja, ich bereits vor einer halben Stunde, aber meine Frau ..,“
„Soll ich das Chicken Curry nehmen?“, fragt meine Frau und hebt ihren Blick kurz über die Karte.
„Ja, das ist doch gut“, sage ich und lächele in der Hoffnung, dass die Bedienung nun ihre Bestellung aufnehmen kann.
„Aber ich bestelle doch immer Chicken Curry“, sagt meine Frau und legt die Stirn in Falten.
„Dann nimm doch das Hirschgulasch.“
„Meinst du, das mag ich?“
„Klar mit Knödeln und Preiselbeeren ...“
„Ach ne ... Knödel? Meinst du wirklich?“
„Ja, das ist doch lecker. Und wenn du sie nicht magst, dann esse ich auch davon“, sage ich und sehe abwechselnd zu meiner Frau und der Bedienung, die, Block und Stift in der Hand, auf der Unterlippe kauend bei uns am Tisch steht und leicht nervös hin und her schwankt.
„Aber das ist doch doof, wenn ich etwas bestelle, was ich dann nicht mag. Vielleicht sollte ich doch lieber das Hähnchen Curry? ... „
Am Ende bestellt meine Frau dann etwas wie Hirschgulasch, mit Reis und Curry und dazu Preiselbeerknödel mit Petersilie - auf jeden Fall etwas, das es so nicht auf der Karte gibt und den Koch vor möglichst große Herausforderungen stellt. Ich verstehe das auch nach neun Jahren Ehe nicht. Warum ist es so schwer, sich für ein Gericht auf der Karte zu entscheiden? Warum wird jede Bestellung zu einem Akt, bei dem es scheinbar um Leben und Tod geht?

 

Und manchmal geht es auch anders - zum Glück!

Während wir später gemeinsam Essen, meiner Frau ihr asiatisches Hirschgulasch nach „Müllerinnen Art“ (oder wie immer man das wilde Gemisch auf ihrem Teller auch nennen mag) schmeckt - obwohl sie meine Wahl auch richtig gut findet - denke ich bei mir: Zum Glück konnte sie sich damals entscheiden mich zu heiraten. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie unsere Hochzeit verlaufen wäre, hätte meine Frau sich auch an dem Tag nicht entscheiden können. Der Priester hätte gefragt: „Gabriela ..... möchtest du Christian ... zum Mann nehmen, ihn lieben und ehren in guten und in schlechten Zeiten...“ und meine Frau hätte vielleicht geantwortet: „Kann, ich noch einmal sehen, wen es sonst noch gibt?“

 

Zum Autor: Christian Mörken, 38 Jahre, lebt als freier Autor, Redakteur und Texter mit seiner Frau Gabriela und seinem Sohn Noah Maximilian in Stuttgart.